Interpellation Thomas Leitch-Frey, SP, Wohlen (Sprecher), und Martin Brügger, SP, Brugg, vom 27. August 2019 betreffend Chlorothalonil-Rückstände im Trinkwasser

Text und Begründung:
Trinkwasser ist unser wichtigstes Gut und eine Verunreinigung mit Fremdstoffen gibt Anlass zur Sorge.

Chlorothalonil ist ein Wirkstoff, der in Pflanzenschutzmitteln seit den 1970er Jahren gegen Pilzbefall als sogenanntes Fungizid in der Schweiz bis jetzt noch zugelassen ist. Er wird im Getreide-, Ge-müse-, Wein- und Zierpflanzenbau eingesetzt, aber auch von Industrie und Privaten verwendet. Der Wirkstoff beschützt die Pflanze vor Pilzbefall, wie zum Beispiel Mehltau. Im Jahr 2017 wurden in der Schweiz ca. 45 Tonnen chlorothalonilhaltige Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Dieser Stoff sickert durch den Untergrund, und heute können seine Abbauprodukte, sogenannte Metaboliten, auch im Trinkwasser in erhöhten Konzentrationen nachgewiesen werden.


Das Mittelland ist wegen der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung der Felder von den Chlorothalo-nil-Rückständen im Wasser besonders betroffen. Das Gebiet erstreckt sich vom Kanton Freiburg, über Bern, Aargau bis Thurgau. Neuste Forschungsergebnisse kamen zum Schluss, dass Chlorotha-lonil möglicherweise krebserregend ist. Deshalb hat der Bund das Mittel nun auf die Liste der rele-vanten Stoffe gesetzt, was bedeutet, dass ein Höchstwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter im Trinkwas-ser nicht überschritten werden darf.
Die Neubeurteilung erfolgte auch aufgrund neuer toxikologischer Erkenntnisse der Europäischen Le-bensmittelsicherheitsbehörde (EFSA). Den Empfehlungen der europäischen Lebensmittelsicherheits-behörde EFSA folgend hat die EU das fragliche Fungizid bereits im April 2019 verboten. Auch der Bundesrat erwägt, die Bewilligung von rund 15 Pflanzenschutzprodukten mit dem Wirkstoff Chloro-thalonil zu widerrufen. Ein Entscheid soll im Herbst fallen. Doch auch wenn ein Verbot kommen sollte: Der Stoff hat sich längst abgelagert und wird wohl noch während den nächsten 20 Jahren aus den Böden herausgewaschen und gelangt ins Trinkwasser.


Gemäss Medienmitteilung vom 23. Juli 2019 hat das Amt für Verbraucherschutz im Aargau das Trinkwasser auf Chlorothalonil Rückstände untersucht, die Wasserversorger über die vorliegenden Untersuchungsbefunde informiert und Massnahmen angeordnet. In den bisher untersuchten 108 Wasserproben sind Chlorothalonil-Rückstände in circa einem Drittel der Proben in geringen Spuren-konzentrationen nachweisbar. Bei rund 10 Prozent der Proben liegt der Messwert über dem vom Bund definierten Höchstwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter. Zwei Proben sind mehr als das Zehnfa-che über dem neuen Grenzwert gelegen, weswegen diese umgehend vom Netz genommen wurden. Welche Gemeinden betroffen sind, will das Amt für Verbraucherschutz aus Datenschutzgründen nicht bekannt geben. Die Wasserversorger selber informieren unterschiedlich. Während die ibw Wohlen in einer Medienmitteilung vom 23. Juli darüber informiert, dass sie das Grundwasserpump-werk Eichholz, das sich in einem landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebiet befindet, wegen starker

Überschreitung des Chlorothalonilwertes als vorsorgliche Sofortmassnahme umgehend und bis auf Weiteres ausser Betrieb genommen hat, orientieren andere Wasserversorger nicht oder geben gar auf Nachfrage keine Auskunft.
Laut Weisung des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) vom 8. August 2019 an die Kantonalen Behörden der Lebensmittelgesetzgebung, müssen die Wasserversorger in den Kantonen und Gemeinden innert einem Monat den Wert unter die kritische Schwelle von 0.1 Mikrogramm pro Liter bringen, falls die Höchstwerte überschritten werden. Zum Beispiel, indem sie das Wasser aus zwei Quellen zusammenmischen und so verdünnen, oder eine andere, sauberere Trinkwasserquelle nutzen. Wenn die Grenzwerte nicht kurzfristig innert einem Monat gesenkt werden können, müssen alternative Methoden geprüft werden. Für solche Fälle setzt der Bund den betroffe-nen Gemeinden und Kantonen eine Frist von zwei Jahren, um die Grenzwerte zu senken.

  1. Welche Mengen an Pflanzenschutzprodukten mit dem Wirkstoff Chlorothalonil werden im Aar-gau jährlich eingesetzt? Welchen Anteil daran haben Private und Industrie?
  2. Welche alternativen Pflanzenschutzmittel werden eingesetzt?
  3. Als wie gefährlich stuft der Regierungsrat Chlorothalonil, beziehungsweise dessen Abbaupro-dukte in Boden und Trinkwasser ein?
  4. Unterstützt der Regierungsrat das vom Bundesrat beabsichtigte Verbot von Pflanzenschutzmit-teln mit dem Wirkstoff Chlorothalonil?
  5. Wie viele landwirtschaftliche Betriebe in welchen Branchen im Kanton Aargau wären von einem Verbot von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Chlorothalonil betroffen? Mit welchen Mass-nahmen könnten betroffene Landwirte kurz- und mittelfristig unterstützt werden?
  6. Wird im Fall eines Verbots des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Chloro-thalonil auch der Verkauf dieser Mittel generell verboten und werden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, dass auch Private und Industrie diese nicht mehr einsetzen können?
  7. Können die in der Weisung vom 8. August 2019 (Weisung 2019/1 “Umgang mit dem Risiko durch Chlorothalonil-Rückstände im Trinkwasser”) vom BLV vorgegebenen Fristen eingehalten werden und mit welchen Massnahmen und Kosten ist zu rechnen?
  8. Laut Artikel 5 der Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) über Trink-wasser sowie Wasser in öffentlich zugänglichen Bädern und Duschanlagen (TBDV) (817.022.11) haben die Trinkwasserversorger die Zwischen- oder Endabnehmerinnen und -ab-nehmer mindestens einmal jährlich umfassend über die Qualität des Trinkwassers zu informie-ren. Wie stellt der Regierungsrat sicher, dass diese ihrer Verpflichtung nachkommen und was können Bürgerinnen und Bürger tun, wenn ihnen die Auskunft verweigert wird?
  9. § 72 Abs. 1 der aargauischen Kantonsverfassung gibt jeder Person das Recht auf Einsicht in amtliche Dokumente. 2014 hat das Bundesparlament als Folge zum Beitritt zur Aarhus-Konven-tion das Umweltschutzgesetz dahingehend ergänzt, dass auch die Kantone den Bürgerinnen und Bürgern einen Zugang zu Umweltinformationen gewähren müssen. Auf Bundesebene be-steht mit dem Öffentlichkeitsgesetz bereits seit einiger Zeit ein solches Zugangsrecht. Auf kanto-naler Ebene ist im Gesetz über die Information der Öffentlichkeit, den Datenschutz und das Ar-chivwesen (IDAG) vom 24. Oktober 2006 (SAR 150.700) ist in § 4 ff. das Öffentlichkeitsprinzip erläutert. Der Zugang zu amtlichen Dokumenten darf nur eingeschränkt werden, wenn es hierfür eine spezielle gesetzliche Grundlage gibt oder überwiegende öffentliche und private Interessen entgegenstehen (§ 5 Abs. 3 IDAG).
  10. Das Amt für Verbraucherschutz im Aargau gibt keine Auskunft darüber, in welchen Gemeinden die Chlorothalonil-Rückstände die Grenzwerte übersteigen. Dies mit der Begründung, dass die mit dem Vollzug des eidgenössischen Lebensmittelgesetzes (LMG) betraute kantonale Voll-zugsbehörde der Schweigepflicht (Art. 56 LMG) unterstehe. Von dieser sei sie aber nur bei Vor-liegen einer akuten Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung entbunden. Sie habe dann mittels öffentlicher Warnung die Konsumentinnen und Konsumenten über die bestehende Gefahr zu informieren. Rechtsgrundlage hierfür sei Art. 54 LMG (öffentliche Warnung). Im Zusammenhang mit Chlorothalonil-Rückständen im Aargauer Trinkwasser bestehe trotz Überschreitung der Grenzwerte gemäss derzeitigem Kenntnisstand keine gesundheitsgefährdende Situation für die Aargauer Bevölkerung. Sie dürfe deshalb weder für die bisher untersuchten, noch für die kom-menden Proben spezifische Angaben zur Gemeinde, Fassung oder Messwerte geben. Teilt der Regierungsrat diese Auffassung?
  11. Ist der Regierungsrat bereit, der Bevölkerung im Aargau umfassend Einblick in die derzeitige Schadstoffbelastung zu gewähren? Falls nein, warum nicht?

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