Text:
Der Regierungsrat wird beauftragt, im Baugesetz die hindernisfreie Anpassung der öffentlichen Ver-kehrsanlagen verbindlich vorzuschreiben und in der Verordnung zum Baugesetz die Norm VSS SN 640 075 als anzuwendende Richtlinie vorzuschreiben.
Begründung:
Am 1. Januar 2004 trat auf Bundesebene das Behindertengleichstellungsgesetz BehiG in Kraft, am 15. Mai 2014 die UNO-Behindertenrechtskonvention. Mit beidem verpflichtet sich die Schweiz, die volle und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten. Die Kantone haben seit 2004 weiterführende Gesetze und Verordnungen verab-schiedet. So auch im Bereich Bauen.
Im Kanton Aargau regelt sowohl das Baugesetz (§ 53) als auch die Bauverordnung (§ 37 und § 38) die Anforderungen an hindernisfreie Hochbauten. Planer und Bauherren werden direkt zur Anwen-dung der Norm SIA 500 “Hindernisfreie Bauten” verpflichtet.
Für Tiefbauten betreffend den Fussgängerverkehr in einem hindernisfreien Verkehrsraum besteht keine solche gesetzliche Regelung und dies, obwohl hier der Umsetzungsdruck weitaus grösser ist als im Hochbau. Denn für den öffentlichen Verkehr gilt (Art. 22, BehiG): “Bestehende Bauten und Anlagen sowie Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr müssen spätestens nach 20 Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes behindertengerecht sein”. Das ist in vier Jahren, Ende 2023. Umso drängender ist die Frage, wie die Umsetzung auf kantonaler Ebene verbindlich und präzise geregelt wird.
Seit Ende 2014 steht dafür mit der Norm SN 640 075 vom Schweizerischen Verband der Strassen-und Verkehrsfachleute VSS ein geeignetes Instrument zur Verfügung. Die Erläuterungen des Bun-desamtes für Verkehr (BAV) zur Verordnung des Eidgenössische Departements für Umwelt, Ver-kehr, Energie und Kommunikation (UVEK) über die technischen Anforderungen an die behinderten-gerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs (VAböV) vom Februar 2018 verweisen explizit auf diese Norm: “Das BAV empfiehlt, sich bei der Gestaltung von Bushaltestellen grundsätzlich an den entsprechenden Ziffern der Norm VSS SN 640 075 ‘Hindernisfreier Verkehrsraum’ und deren An-hang zu orientieren.” Die VSS-Arbeitsgruppe “Hindernisfreier Verkehrsraum” überprüfte die Norm nach fünf Jahren. Sie erklärt sie nun für verbindlich, da sie sich in der Praxis bewährt und sich betreffend die Gestaltung von hindernisfreien Bushaltestellen als adäquat erweist.
Bereits im Juli 2019 bezeichnete der Regierungsrat in seiner Antwort auf die IP 19.115 die VSS Norm 640 075 als “notwendige Vorgaben technischer Natur” für den behindertengerechten Umbau von Bushaltestellen. Auch im Mehrjahresprogramm öffentlicher Verkehr 2020, Abschnitt 3.8.2. Bus-haltestellen, bezeichnet er diese Norm als “verbindliche Grundlage für die konforme Umsetzung des BehiG”.
Eine verbindliche Regelung im Baugesetz und die Verankerung besagter Norm in der Bauverordnung ist darum logisch und konsequent. Sie sorgt für eine möglichst frist- und gesetzeskonforme Umsetzung des BehiG auf Kantonsebene. Sie schafft Rechtssicherheit auf kantonaler Ebene, unter-stützt die Gemeinden in der Umsetzung und ermöglicht Menschen im Rollstuhl, am Rollator oder mit einem Kinderwagen die autonome und spontane Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel.