Rotes Protokoll vom 12. September 2023

Liebe Genoss:innen

Was für ein Tag im Rat. Es hätte ein Horror werden können. Aber es wurde keiner. Wie durch ein Wunder entschied der Rat in wichtigen Fragen (Einbürgerung, Bildung) mit Kopf, Herz und Verstand. Klar, wir geben uns schon mit sehr wenig zufrieden. So lassen wir z.B. die Korken knallen und tanzen auf den Tischen, wenn ein Vorstoss überwiesen wird, der fordert, dass der Regierungsrat prüft, ob etwas möglich ist, das wir noch gut fänden. So gewesen bei der Motion von Lea Schmidmeister zur Zuständigkeit bei Einbürgerungen. Nicht mehr der Rat soll in Zukunft am Schluss über die Einbürgerung entscheiden, sondern der Regierungsrat. So dass aus einem Gnadenakt endlich ein Verwaltungsakt wird. 

Und ja – juheee: Kinder dürfen in der Pause weiterhin sprechen wie ihnen der Schnabel gewachsen ist und es gibt kein Sprachverbot. Die SVP spielt weiterhin enthusiastisch und mit viel Verve Sprachpolizei.

Merci für die Einladung @jublaaargau@pfadiaargau und @cevi_agsoluzg zur Mittagspause. Bei selbstgekochtem Chili sin Carne unter dem Sarasani hörten wir von ihren Projekten und was sie von der Politik benötigt. Danke für euer grosses ehrenamtliches Engagement. Für uns ist klar: Der Aargau muss sich stark machen für Kinder-& Jugendförderung. Und wir hoffen auch, das nationale Parlament stimmt in Kürze einer weiteren Woche Jugendurlaub zu. Und wir haben erfahren, dass Regierungsrat Dieter Egli engagiertes Mitglied der Cevi war. Er reiste nicht nur mit Regenschirm ins Sommerlager, sondern er war der erste Präsident des ersten Dachverbandes der Jugendverbände. Dieser scheiterte, weil er wohl einfach chaotisch aufgestellt war. Aber ja, diese Erfahrungen haben Dieter bereit und resilient für den Politbetrieb gemacht.

Solidarisch
Lelia Hunziker und Alain Burger

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P.S. Die Wahlen am 22. Oktober sind matchentscheidend und richtungsweisen. Bitte helft. Kommt telefonieren. Tragt euch ein. Mit dem App kann man auch von zu Hause aus telefonieren. Die Kampagner:innen helfen gerne. 

Wohnungspolitik ist Service public
Der Aargau ist der Kanton der Regionen und in einigen Regionen, zum Beispiel im Limmattal, sind bezahlbare Wohnungen bereits Mangelware. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt spitzt sich immer stärker zu. Wir forderten darum einen Wohnbauförderungsfonds, der für Entlastung sorgt, indem er den Kauf und den Bau von gemeinnützigen Wohnungen fördert. Die Regierung lehnte ab. Wir hielten fest. Die Diskussion war eröffnet. Rechtskonservativ warf uns einmal mehr vor, mit Steuergeldern Pflästerlipolitik zu betreiben und sowieso hat der Kanton kein Geld – ausser für Steuergeschenke, aber das ist ein anderes Thema. Das wahre Problem sei die Zuwanderung- das ist eigentlich auch ein anderes Thema. Ja, die Zuwanderung muss im Wahlkampf für vieles hinhalten. Von der Immobilienwirtschaft, die unsere Wohnungen, Büros und Produktionsstätten seit Jahrzehnten in ein Anlageuniversum umgebaut hat, sprach niemand im Grossen Rat. Auch die Regierung fand, die Wohnbauförderung sei nicht eine kantonale Aufgabe und bezweifelte die Wirkung unserer Massnahme. Fazit: Der Grosse Rat lehnte einen Fonds zur Förderung des günstigen Wohnungsbaus deutlich ab. 
 
Mit dem Vorkaufsrecht für Gemeinden wollten wir erreichen, dass Gemeinden und der Kanton Immobilien unkompliziert erwerben können. Dadurch wäre es möglich, mehr günstigen Wohnraum für Einzelpersonen und Familien mit geringem Einkommen anzubieten. Doch auch das Vorkaufsrecht hatte weder die Unterstützung der Regierung noch die Mehrheit im Rat. Wir zogen darum noch vor der Abstimmung zurück. Denn taktisch wollten wir nichts riskieren. Gemeinnütziger Wohnungsbau bleibt im Aargau vorerst die Ausnahme.

Das Ende der Begnadigungskommission ist eingeläutet
„Die Einbürgerung ist der krönende Abschluss einer erfolgreichen Integration.“ Und „Wehret den Anfängen!”, so tönte es von Rechtskonservativ, als es heute um das Kantonsbürgerrecht ging. Wer soll das Kantonsbürgerrecht erteilen? Wir forderten, dass die Kompetenz vom Grossen Rat an das zuständige Departement geht. Ein Stich mitten ins Wespennest. Aus der Einbürgerung ein Verwaltungsakt machen – nicht mit Rechtskonservativ. Denn die Einbürgerung ist der heilige Gral der Aargauer Politik, ein Festspiel, wenn ein Gesuch vor den Rat gezogen wird und 140 Grossrät:innen, in Unkenntnis des konkreten Sachverhalts, Schweizer:innenmacher spielen dürfen.

Wir finden es peinlich, dass die vom Grossen Rat abgelehnten Gesuche regelmässig vom Bundesgericht kassiert werden. Wir finden es peinlich, wie die Einbürgerungen als Gnadenakt auf der rechtskonservativen Ratsseite zelebriert werden. Und wir finden es peinlich, wie auf dem Rücken unserer neuen Mitbürger:innen reine Symbolpolitik betrieben wird. Eine Einbürgerung ist ein rechtsstaatliches Verfahren mit wenig Ermessensspielraum. Schweizer:in wird, wer die Voraussetzungen erfüllt. Basta!

Rechtskonservativ fühlte sich provoziert, warf uns vor, dass wir subversiv an einem Bürger:innenrecht ab Geburt arbeiten und gleich den ganzen Grossen Rat abschaffen wollen, nicht nur die Einbürgerungskommission?! Was wir wirklich fordern, findest du hier. Doch Rechtskonservativ setzte sich nicht durch. Mit 71 zu 65 Stimmen entschied der Grosse Rat, dass überprüft werden soll, ob die Regierung oder die Verwaltung entscheidet. Ein erster Schritt zu einer fairen Einbürgerungspraxis im Kanton Aargau.

Was? Unsere Mittelschulen sind doch nicht links!?
Wer mit 20 Jahren nicht links ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 Jahren immer noch ist, hat keinen Verstand. Doch nicht alle Kanti-Schüler:innen sind links. Drei Jungfreisinnige an der Kanti Baden nicht. Sie störten sich am angeblichen Linksdrall ihrer Schule und verfassten dazu ihre Maturaarbeit. Aus dieser Arbeit wurde die politische Forderung nach einem Bericht zur politischen Neutralität der Mittelschulen und wir wären ja nicht im Aargau, wenn dieser Vorstoss keine politische Mehrheit im Grossen Rat gefunden hätte. Denn Rechtskonservativ witterte einmal mehr die linke Verschwörung.

Heute also standen die Resultate der 65’000-Franken-Studie auf der Traktandenliste. Die Wissenschaftler:innen kommen zum Schluss: Alles ist ok. Die Schüler:innen gehen gerne zur Schule. Die Lehrpersonen lassen ihre persönliche Haltung nicht in den Unterricht einfliessen und falls doch, interessiert sich die Schülerschaft nicht wirklich dafür. Gute Noten für unsere Mittelschulen, ungenügende Noten für Parlament und Regierung. Viel teurer Lärm um nichts. Frust und Ärger bei den betroffenen Lehrpersonen. Stimmungsmache gegen linke Kantonsschulen in den landesweiten Medien. Ein Image-Schaden für unseren Bildungskanton. Kaum neue Erkenntnisse. Symbolpolitik hat ihren Preis.

Im Rat gingen die Meinungen deutlich auseinander. Die Grünen waren enttäuscht, weniger von der Studie, mehr vom Urheber des Postulats. Die Mitte sprach von Kollateralschäden, die durch die Studie entstanden seien. Die FDP regte sich über die künstliche Empörung der anderen Fraktionen auf. Für die SVP wurden die falschen Fragen gestellt. Denn, ob die Lehrpersonen tatsächlich links sind, wurden die Schüler:innen gar nicht gefragt. Und wir? Wir danken den Lehrpersonen, die einen guten Job machen und sich tagtäglich für ein lernförderliches Klima einsetzen, damit sich möglichst alle in der Schule wohlfühlen.

Eine Lehre können wir aber aus dem vorliegenden Bericht ziehen: Die politische Agenda gewisser Parteien wird durch Maturitätsarbeiten bestimmt. Darum hätten wir ein Thema für eine zukünftige Arbeit: «Die begrenzte Eignung von Maturaarbeiten als Grundlage für politische Vorstösse am Fallbeispiel des letzten Turgemer Gemeindeammanns». Nichts zu danken, liebe Jungfreisinnige. Das machen wir gerne. Ein Service public des Roten Protokolls.

Pausentratsch: Härdöpfusalot, Sprachdiktat und Eselsohren
Die SVP verlangt mit einem Postulat, dass auf den Aargauer Pausenplätzen Deutschpflicht gilt. Also ein Sprachdiktat für Deutsch und der Kollateralschaden ist ein  Sprachverbot aller anderen 7000 Sprachen dieser Welt. Sprechverbote – das gab’s doch schon mal?  Und immer war es der Anfang von einem schlimmen Ende. Aber es wäre gelogen, wenn wir die Erstaunten geben würden. Nein, FDP und SVP ist jedes populistische Stilmittel recht, welches Menschen mit Migrationsvordergrund zu Sündenböcken macht. Traurig aber wahr. Und in diesem Fall wäre sie sogar willens, das Verfassungsrecht der Sprachfreiheit zu kippen. Einfach so. Schwupp di wupp. Auf die Verfassung pocht man in gewissen Kreisen nur, wenn man es will. Sonst: ab in den Container mit diesen ominösen Freiheitsrechten. Aber ja: uns erstaunt nix mehr. 

Einmal kann für Rechtskonservativ der Staat nicht genug weit weg sein und es wird ein regel- und zügelloses, ja geradezu anarchistisches Leben gefordert. Nur: wenn es um Menschen mit Migrationsvordergrund geht, dann sollen die Gesetze scharf wie Chili sin Carne sein.  

Wir sind uns im Land der vier Sprachen eigentlich einig: Vielsprachigkeit ist eine Bereicherung. Aber nicht jede Sprache scheint gleich bereichernd zu sein. Kinder sprechen und lernen auf dem Pausenplatz neben Deutsch auch noch Albanisch, Türkisch, Tigrinja, Spanisch, Ukrainisch und Arabisch. Und schon steht der Turm zu Babbel schiefer als erlaubt. Deshalb: jede Sprache jenseits von Härdöpfustock soll verboten werden.

Wie bitte schön, soll denn die Strafe aussehen, wenn jemand beim hablar en espanol erwischt wird? Ein Deutschdiktat? Fötzele? Redeverbot? Pausenverbot? Oder wie zu Gotthelfs Zeiten: Eselsohren anziehen und in die Ecke stehen? Und die Lehrer:innen? Sollen sie die ganze Pause, mit gespitzten Miss Marple Ohren, lauschen und die Sündigen jagen, anprangern und abstrafen? Wir verzweifeln bei dieser Vorstellung. Die Schulen im Aargau haben weiss Gott andere Probleme. 

Der Rat hat diesem unsinnigen Treiben jedoch deutsch und deutlich den Marsch geblasen und die Motion bachab geschickt. Faleminderit. Obrigado. Adieu.

Menschenwürdige Unterkünfte in Wettingen
Der Ständerat hat die Kosten für die Anschaffung von Containern nicht bewilligt, nun müssen die Kantone Plätze zur Unterbringung von geflüchteten Menschen zur Verfügung stellen. Der Bund plant, ein Bundesasylzentrum in Wettingen zu betreiben. Die Fraktion SP/WettiGrüen nahm dies zum Anlass für eine Fraktionserklärung im Einwohnerrat. Denn Wettingen sei bereit, seinen Beitrag zur Linderung der Not von Menschen auf der Flucht zu leisten. Das Ziel darf nicht sein, diese Menschen irgendwo zu verstauen, wo sie möglichst wenig stören und aus dem Blickfeld verschwinden. Die SP/WettiGrünen fordern menschenwürdige Unterkünfte und eine gute Betreuung für geflüchtete Menschen, bevor der Winter kommt, dann wenn die Kälte in Europa – auch in übertragenem Sinn – wieder zunimmt.

  • Interpellation von Colette Basler, SP, Zeihen (Sprecherin), Simona Brizzi, SP, Baden, Alain Burger, SP, Wettingen, betreffend Einschulung

Interpellation, Luzia Capanni SP, Windisch (Sprecherin), Jürg Knuchel SP, Aarau, Lelia Hunziker, SP, Aarau, Rahela Syed, SP, Zofingen betreffend Bedarfs-  und Angebotsanalyse Suchthilfe

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