Offener Brief der SP Aargau: Flüchtende Menschen aus der Ukraine angemessen empfangen, unterbringen, betreuen und integrieren 

In der Ukraine führt das Putin-Regime einen brutalen Angriffskrieg. Bereits sind über zwei Millionen Menschen aus dem Land geflüchtet. Der Bundesrat geht davon aus, dass in den nächsten Wochen immer mehr Menschen auch in der Schweiz Zuflucht suchen. Das betrifft auch unseren Kanton. Die SP Aargau hat dem Regierungsrat deshalb einen offenen Brief mit Forderungen geschrieben.

Sehr geehrter Herr Landammann
Sehr geehrte Herren Regierungsräte

Das Putin-Regime führt in der Ukraine einen brutalen Angriffskrieg, auch gegen die Zivilbevölkerung. Weltweit ist die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine riesig. In der Schweiz sind in den vergangenen zwei Wochen Zehntausende auf die Strasse gegangen, haben für einen sofortigen Stopp des Kriegs demonstriert und ihr Mitgefühl mit den Betroffenen ausgedrückt. Auch im Aargau kam es zu mehreren Solidaritätskundgebungen. Die SP Aargau bedankt sich bei allen, die sich solidarisch zeigen und mit ihrem Engagement mithelfen, die Krise zu bewältigen – etwa mit Spenden oder Angeboten zur Unterbringung.

Bereits sind über zwei Millionen Menschen aus der Ukraine in Nachbarländer geflüchtet. Gemäss Staatssekretariat für Migration (SEM) haben sich seit Ausbruch des Krieges rund 700 vertriebene Personen in den Schweizer Bundesasylzentren (BAZ) gemeldet. Wie viele Personen bisher insgesamt aus der Ukraine eingereist sind, ist nicht bekannt, da sie visabefreit sind und es wahrscheinlich ist, dass einige bei Verwandten oder Bekannten untergekommen sind. Die Anzahl Menschen, die in der Schweiz Zuflucht suchen und noch keine Kontakte hier haben, wird den nächsten Wochen zunehmen. Es gilt, auf Bundes- und Kantons- und Gemeindeebene die nötigen Massnahmen zu ergreifen, um die ankommenden Menschen gut vorbereitet empfangen zu können. Ziel muss sein, dass alle Vertriebenen umgehend eine Unterkunft und jene Unterstützung erhalten, die sie benötigen.

Die SP Kanton Aargau fordert:

Schutzstatus S für raschen und unbürokratischen Schutz

Der Kanton soll sich in der laufenden Konsultation für die Aktivierung des Schutzstatus S für alle Flüchtenden aus der Ukraine aussprechen, wie es der Bundesrat vorschlägt. Damit müssten sie kein ordentliches Asylverfahren durchlaufen, sondern bekämen ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz, könnten ihre Familienangehörigen nachziehen und hätten auch Anspruch auf Sozialhilfe und medizinische Versorgung. Die SP Aargau fordert, dass die Geflüchteten sofort, ohne Wartefrist, einer Erwerbsarbeit nachgehen können, wie dies auch die EU vorsieht. Zudem sollen nicht nur Ukrainer*innen, sondern auch Menschen anderer Nationalitäten, die in der Ukraine gelebt haben und die nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können, unter den Schutzstatus S fallen. Es ist davon auszugehen, dass auch aus Russland Personen flüchten werden. Der Schutzstatus S soll deshalb allen Menschen verliehen werden, die vor dem Ukraine-Konflikt flüchten.

Rasche Integration und Zugang zu Erwerbsarbeit

Auch wenn der Schutzstatus S sich an einer baldigen Rückkehr orientiert, braucht es von Beginn an Integrationsmassnahmen. Es ist ungewiss, wie lange der Krieg andauern wird. Je schneller mit Integrationsmassnahmen begonnen wird, desto reibungsloser klappt das Zusammenleben mit der einheimischen Bevölkerung. Dafür müssen die nötigen finanziellen Mittel gesprochen werden. Der Regierungsrat soll sich deshalb beim Bund für die Integrationspauschale auch für Menschen mit Schutzstatus S einsetzen.

Der Schutzstatus S soll einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen, was wir begrüssen. Eine geregelte Tagesstruktur und Beschäftigung fördern das psychische Wohlbefinden und führen zu Unabhängigkeit. Der Kanton muss sicherstellen, dass die Situation der Geflüchteten nicht ausgenutzt wird und dass sie angemessen entlohnt werden. Dazu sind die nötigen Kontrollen durchzuführen. 

Gute und adäquate Unterbringungen 

Die Aufnahmebereitschaft von Privaten für Geflüchtete aus der Ukraine ist riesig. Diese Solidarität ist wertvoll. Der Kanton ist in der Pflicht, für sichere und adäquate Unterbringung zu sorgen. Die Unterbringung in den riesigen Asylstrukturen (BAZ) sind nicht ideal – weder für Menschen aus der Ukraine, noch für geflüchtete Menschen aus anderen Ländern. Es braucht mittelgrosse, zentrumsnahe Unterbringungsmöglichkeiten, beispielsweise in Mehrfamilienhäusern mit mehreren Wohnungen. Auf der Flucht vor dem Krieg laufen Frauen Gefahr, in Ausbeutungssituationen zu geraten. Es braucht deshalb bindende Richtlinien zur geschlechterspezifischen Unterbringung in Asylzentren wie z.B. getrennte Schlafräume und Sanitäranlagen. Die Privatsphäre muss gewährleistet werden und es braucht spezielle Aufenthaltsräume für Frauen, Kinder und LGTBQ-Menschen. Stark traumatisierte Menschen müssen spezialisiert untergebracht werden. 

Begegnungsorte zum niederschwelligen Austausch

Die Solidarität der Schweizer Bevölkerung und die Bereitschaft, einen Beitrag zu leisten, sind gross. Die Geflüchteten sollen, sofern sie das möchten, möglichst schnell mit der ansässigen Bevölkerung in Kontakt kommen. Es braucht Begegnungsorte, wo sich die einheimische Bevölkerung und die Geflüchteten niederschwellig treffen und austauschen können, etwa in Begegnungscafés.

Schnelle und integrative Beschulung

Die geflüchteten Kinder und Jugendlichen sollen ihre Schullaufbahn möglichst auf der gleichen Stufe wie im Herkunftsland weiterführen können. Es braucht eine Anlaufstelle, die Empfehlungen zur schulischen Einstufung der Kinder und Jugendlichen abgeben kann, sowie genügend DaZ-Lehrpersonen. Die Kinder und Jugendlichen sollen möglichst vor Ort in die Schule gehen können. Regionale Integrationsklassen sind zu prüfen, die Klassen sollen jedoch eng in der Schule eingebunden sein und im Kontakt mit den Schweizer Kindern sein. Aufgrund der frühen Selektion im Schweizer Bildungssystem sollte zudem geprüft werden, ob die Volksschule auch Jugendliche im Alter von 16 oder 17 Jahren aufnehmen kann.

Soziale und psychologische Unterstützung

Es ist eine fachliche und professionelle Beratung und Betreuung aufzugleisen. Die Regionalen Beratungsdienste des Kantons (AIA, RIF, KFA) sind einzubeziehen und evtl. mit zusätzlichen Kompetenzen und Ressourcen zu versehen. Um dem zu erwartenden, sich dynamisch entwickelnden Bedarf zu entsprechen, sind klare Zuständigkeiten, eine effiziente und effektive Vernetzung sowie grösstmögliche Selbstorganisation der lokalen Akteur:innen notwendig.

Menschen sollen bei Bedarf zeitnah die notwendige medizinische und psychologische Beratung und Therapie bekommen. Dabei müsste insbesondere die Finanzierung der psychologischen Notfallversorgung wie auch die Dolmetscherkosten sichergestellt sein. 

Taskforce humanitäre Katastrophe

Zusammenarbeit, Koordination und Vernetzung sind bei den zu erwartenden Herausforderungen essentiell. Akteur:innen aus Gemeinde, Kanton, Bund und der Zivilgesellschaft müssen eng und effizient zusammenarbeiten. Der Kanton Aargau soll sich beim Bund dafür einsetzen, dass eine Taskforce gebildet wird, die diese Zusammenarbeit gewährleistet. 

Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Landammann, sehr geehrte Herren Regierungsräte, gemeinsam mit Ihren Departementen alles daran zu setzen, dass die Aufnahme, Unterbringung und Unterstützung der Flüchtenden möglichst reibungslos klappt. 

Freundliche Grüsse
Sozialdemokratische Partei
Kanton Aargau

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