Der Kanton gefährdet mit fehlender Strategie den gesellschaftlichen Frieden und das Wohl geflüchteter Menschen.
Seit Monaten ist bekannt: Im Herbst wird die Zahl der Asylsuchenden ansteigen. Das wiederholt sich jedes Jahr aus einem zynischen Grund: viele Menschen wagen im Sommer die Überquerung des Mittelmeers, weil das Risiko zu ertrinken und zu sterben, tiefer ist als im Winter. In diesem Jahr haben sich zudem mit dem Beitritt Kroatiens in den Schengenraum dessen Aussengrenzen verschoben und die Situation vieler Flüchtender in der Türkei hat sich mit dem Wahlsieg Erdogans nachhaltig verschärft. Umso unverständlicher ist es, dass “der Kanton Aargau einmal mehr unvorbereitet dasteht, obwohl man sehr genau weiss, wie sich die Zahlen entwickeln”, so Lelia Hunziker, Grossrätin. Wohl versucht der Kantonale Sozialdienst (KSD) jüngst auf die Entwicklungen zu reagieren und notgedrungen Unterbringungskapazitäten aus dem Boden zu stampfen. Die Verantwortung für das Debakel liegt vielmehr bei der Regierung und dem Parlament, die es versäumt haben mit den Gemeinden vorausschauend die Infrastruktur für solche Szenarien vorzubereiten.
Die Gründe für diese Versäumnisse sind offensichtlich. Die Maschinerie von Politik und Verwaltung nimmt Fahrt auf, es wird hastig gehandelt und kommuniziert. Wieder auf den letzten Drücker, wieder chaotisch, wieder ohne Planung, wieder ohne Strategie. Dieses Reagieren aus der Defensive stellt alle Beteiligten vor grosse Herausforderungen und bindet kurzfristig enorme Ressourcen für letztlich schlechte Zwischenlösungen. Die Leidtragenden sind die schutzsuchenden Menschen. Sie werden wie schon 2015 unterirdisch untergebracht. So nun auch der Plan in Wettingen, in Aarau und in Muri mit Familien. Das ist unwürdig, das ist menschenfeindlich, das macht Menschen krank und betrifft vor allem Menschen, die traumatisiert und entkräftet von der Flucht die Schweiz erreichen. Sie brauchen Schutz, sie brauchen Ruhe und sie brauchen Perspektive. “Unterirdische Notunterkünfte bieten das nicht”, betont Lea Schmidmeister.
Wir rufen deshalb den Regierungsrat erneut eindringlich auf, vorausschauend und strategisch der Unterbringung von geflüchteten Menschen allerhöchste Priorität einzuräumen. Es wurde eindeutig verpasst, frühzeitig Kapazitäten zu schaffen und in nachhaltigen Varianten zu planen. “Windisch” oder “Wildegg” sind keine Betriebsunfälle, sie sind eigens verschuldete Resultate einer planlosen Asylpolitik der rechtskonservativen Mehrheit, stellt Rolf Schmid klar. Bereits vor der Ausrufung der Notlage im Aargau, aber auch bei der Analyse der misslichen Situation haben wir Lösungsansätze wie etwa die freie Wohnsitzwahl, die private Unterbringung oder dauerhafte, mittelgrosse Unterkünfte vorgeschlagen. Die Verwaltung beklagt mangelnde Ressourcen, die Regierung bleibt uns Antworten schuldig. Die Bundespolitik erschwert die Situation zusätzlich mit ihrer Verweigerungshaltung gegenüber dem Kauf von Containern und der Umnutzung von Arealen der Armee die kurzfristige Lösungsfindung. Die “just-in-time” Politik der Aargauer Regierung ist gescheitert. Aus Spargründen werden keine Reserven eingebaut und eingerechnet. Wenn Bern anruft, startet die Suche nach Betten. Warum wurden keine Container angeschafft? Gibt es keine kantonseigenen Flächen, um diese aufzustellen? Warum wurden keine leerstehenden Liegenschaften, Kirchgemeindehäuser angemietet?
Die SP forderte nach Ausbruch des Ukrainekrieges eine ständige Taskforce und rund um die Vorfälle in Windisch eine entsprechende Untersuchung. Die Regierung und allen voran Landammann Jean-Pierre Gallati halten unbeirrt am eingeschlagenen Weg fest und verhelfen damit der SVP kurz vor den Wahlen zu hetzerischen Schlagzeilen. Dabei wiederholt sich die Geschichte stets auf Neue: Die Gemeinden wehren sich gegen Unterkünfte, Bürger*innen werden durch rechte Kreise mobilisiert und rufen zum Aufstand und geflüchtete Menschen werden wieder zu Sündenböcken. “Es scheint, als ob Landammann Gallati den Konflikt geradezu sucht und damit den gesellschaftlichen Frieden gefährdet. Das ist brandgefährlich und unverantwortlich”, warnt Lelia Hunziker, Grossrätin aus Aarau.
Ungeachtet davon, dass auch das nationale Parlament mit seinem Entscheid gegen den Kauf von 3000 Containern die Mitschuld an der Notlage trägt und die Kantone diesen Fehler ausbaden, “muss der Aargau nun selber handeln und eigene Container kaufen”, so Luzia Capanni. “Nur so sind wir bereit für Veränderungen und weniger abhängig vom Bund” ergänzt die Grossrätin aus Windisch. Container können unkompliziert für Asylunterkünfte genutzt werden, oder für Zwischennutzungen bei Schulhausbauten oder Wohnungssanierungen. Der Kanton kann diese für eigene Projekte verwenden oder den Gemeinden zur Verfügung stellen. Die SP wird darum einen solchen Vorstoss einreichen. Zudem wird die SP einmal mehr eine nachhaltige, würdige und menschliche Unterbringungsstrategie fordern. Weiterhin bedarf es einer ständigen Taskforce bestehend aus Gemeinden, Zivilgesellschaft (Netzwerk Asyl Aargau, Caritas, HEKS und Fachstellen), Zuständigen aus verschiedenen Departementen des Kantons und weiteren Akteur*innen, welche die Unterbringungssituation laufend beobachtet, analysiert und evaluiert und ein adäquates, angepasstes System für den Kanton Aargau entwickelt.