Rotes Protokoll vom 7. November 2023


Liebe Genoss:innen

Heute gabs Bachfische, vieles ging bachab und ein Fisch schwimmt bachaufwärts nach Bern. Aber der Reihe nach…

Lea Schmidmeister konnte sich freuen. Sie bekam eine Packung Bachfische vom Grossratspräsidenten, weil sie heute Geburtstag hatte. Und einen feinen Schoggikuchen mit Rotwein von Rolf Schmid. Happy Birthday Lea!

Vom Grossen Rat gab es leider keine Geschenke. Vieles ging heute bachab. Es war traurig und es war frustrierend. Ja, wir sind mit hängenden Köpfen und wackligen Beinen rausgeschlichen. Spass muss Politik nicht machen. Aber es wäre schon schön, wenn wir uns ein bisschen mehr freuen könnten. 

Freuen dürfen wir uns aber für Simona Brizzi. Herzliche Gratulation Simona zu deiner ausgezeichneten Wahl in den Nationalrat. Bald schwimmst du bei den grossen Bachfischen in Bern. Und natürlich haben wir auch ein weinendes Auge, denn ab nach Bern heisst tschüss Aarau. Simona wird uns demnächst verlassen.  


Viel Vergnügen beim Lesen – Inputs und Feedback wie immer herzlichst willkommen.
Solidarisch
Alain Burger und Lelia Hunziker

Die Sozialhilfe: Staatssubvention der Wirtschaft
Ja, manchmal bleibt uns die Spucke weg. Unter dem Titel “Arbeit muss sich lohnen” hetzte Rechtskonservativ heute mal wieder gegen Armutsbetroffene und Sozialhilfebeziehende. Die Rechten haben Interessantes festgestellt: Eine vierköpfige Familie bekommt von der Sozialhilfe 4’000 Fr. Das ist mehr, als eine Person im Niedriglohnbereich verdient.

Wir so: Huiii – so wenig? Wie kann man als vierköpfige Familie mit 4’000 Fr. überhaupt haushalten? Miete, Essen, Kleider, Nebenkosten usw.? Keine Chance. Wir finden: das reicht hinten und vorne nicht.

Die Rechten so: 4’000 Stutz von der Sozialhilfe? Das ist unanständig viel. Die Sozialhilfe, die notabene im Aargau schon am untersten Limit der Richtlinien und nur und ausschliesslich existenzsichernd ist, darf nicht höher sein als die tiefsten Löhne.

Und weil wir keine Mindestlöhne haben, können Arbeitgebende, in unregulierten Branchen, unanständig tiefe Löhne bezahlen. Quasi ein  Eldorado für habgierige Arbeitgebende (oder im Wortlaut der Rechten: eigenverantwortliche Unternehmende!!!) Ja, Arbeit soll sich lohnen – vor allem die Arbeit der anderen muss sich für mich lohnen. So trällert das superliberale Mantra. 

Denn Fakt ist: Viele Sozialhilfebeziehende arbeiten. Der Lohn ist jedoch so tief, dass die Sozialhilfe – also die Steuerzahler:innen – nachhelfen müssen.  Der Staat macht hier eine Quersubventionierung an die Wirtschaft. Sozialhilfe ist also eigentlich eine Staatssubvention an gierige Unternehmen. 

Einmal mehr mussten wir heute eine unwürdige Debatte über Armutsbetroffene über uns ergehen lassen. Einmal mehr werden Menschen, die Sozialhilfe beziehen, stigmatisiert. Einmal mehr werden Sozialhilfebeziehende, als selbst Schuld und faul hingestellt. Einmal mehr werden sich Menschen, die Sozialhilfe beziehen schämen. Einmal mehr werden sich Menschen aufgrund dieser Scham und Stigmatisierung entscheiden, keine Sozialhilfe zu beziehen und geraten dadurch in die Armutsfalle. Und weiter trällert das liberale Mantra: Alles für mich, mich, mich – nix für dich, dich, dich. Der Rat hat das Postulat grossmehrheitlich überwiesen und die Mitte erwies sich einmal mehr als fröhlicher Gehilfe dieser unwürdigen Politik. Liebe Mitte, wo ist die Solidarität?

Sicherheitsgefühl: Hörensagen vs. Fakten
Ja, manche prekarisierten, vulnerablen und armutsbetroffenen Menschen passen nicht ins Bild der Postkartenschweiz mit Schoggi, Geranien und weiss gezuckerten Berggipfeln. Menschen mit Suchterkrankungen und Menschen am Rande der Gesellschaft joggen nicht in On-Turnschuhen durch den Wald, hetzen nicht mit dem schicken Pendler:innenrucksäckli durch die Bahnhofsunterführung und flanieren nicht mit dem lustigen Tante-Emma-Kinderwagen durch die Altstadtgassen. Nein. Sie sitzen mitunter in Gruppen am Boden. Sie torkeln, sie pöbeln. Sie provozieren. Sie beschimpfen sich. Sie urinieren und lassen mitunter allerlei Hüllen, Flaschen und Grusliges herumliegen. Sie fallen auf und sie fallen ab. Nein, wenn Architekt:innen öffentliche Orte visualisieren, dann lungern diese Menschen nicht darauf herum. Dann hüpfen Kinder lustig in die Luft und Freund:innen plaudern relaxed am Kaffee nippend auf dem Bänkli.

Und doch sind sie da. Und sie gehören dazu. Und ja: wir sind in der Verantwortung diesen Menschen würdige Massnahmen zu bieten. Sie sind wir. Diese Menschen stören die rechte Ratshälfte. Und damit es nicht so kompliziert wird, welche Menschen herumsitzen, rauchen und Bier trinken, sind es einfach Ausländer:innen und noch einfacher: Asylsuchende. Sie sind – einmal mehr – Sündenböcke für alles. Der Regierungsrat argumentiert zwar mit Fakten: die von den Rechten geschilderten Vorkommnissen kommen so in den Statistiken nicht vor. Aber das ist nichts, gegen das, was man weiss, vom “Hörensagen”.  “Hörensagen” schlägt Fakten. Und so wird das Narrativ von gefährlichen Asylsuchenden an Stammtischen, in der Zeitung und in der Kafi-Pause kolportiert, repetiert und dupliziert.

Wahre Teufel:innen werden an die Wände gemalt. Und jedes Mal, wenn irgendwo im Kanton eine Asylunterkunft entsteht, dann schleichen diese Teufel:innen um die Ecke und erschrecken die Menschen. So geschehen z.B. in Wildegg. Es wird jedoch dann geflissentlich überhört, wenn die Frau Gemeindeammann Wochen später sagt: «Die Bevölkerung ist überrascht, wie ruhig und sauber es ist und dass keine grösseren Gruppen im Dorf unterwegs sind.» So geht Populismus.

Ja, es gibt Handlungsbedarf. Ja, im öffentlichen Raum gibt es Menschen, die in Not sind. Ja, es gibt Menschen, die auffallen und zuweilen stören. Ja, das kann irritieren und verängstigen. Aber die Lösung sind nicht Verbote, Bussen und Verweise. Die Lösung ist aufsuchende Sozial- und Polizeiarbeit, Aufenthaltsräume, Beschäftigung, Betreuung und Beratung. Die Lösungen sind Armutsbekämpfung, die Stärkung der Sozialwerke, Drogenprävention und Integration.

Aber, wie wären ja nicht im Grossen Rat im Aargau, wenn der Vorstoss der SVP nicht hochkant angenommen würde. Einmal mehr mit höflicher Unterstützung  der Mitte. Solidarität!? 

Ja zum Klima-Paragrafen
Der Klima-Paragraf sei überflüssig. Dass Rechtskonservativ nicht viel vom Klimaschutz hält, ist nicht erst seit der Abstimmung über das Klimagesetz im Juni klar. Ein Klima-Paragraf in unserer Kantonsverfassung sei reine Symbolpolitik. Zum Glück war Rechtskonservativ  mit dieser Haltung heute im Grossen Rat in der Minderheit. Denn mit einem griffigen Artikel in der Verfassung schaffen wir die Grundlage für mehr Klimaschutz im Kanton Aargau. Und wenn wir unser Klima nicht endlich schützen, brauchen wir bald Schutz vor dem Klima. Da helfen weder Bashing gegen Klimaaktivist:innen noch Verbote eines Ceterum censeo, wie es ein junger Kollege der Grünen gerne an seine Voten im Grossen Rat anhängt: “Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir die Klimakrise in ihrer ganzen tödlichen Macht erkennen müssen.” Recht hat er. Sagen darf er es im Grossen Rat aber nicht. In einem Rat an dem wir heute wieder viel Wüstes, Entwürdigendes und Entmenschlichendes hören musste. Ja, das darf scheinbar gesagt werden.

Leider wurden dem neuen Klima-Paragrafen bereits in erster Lesung einige Zähne gezogen. Ja, wir sind im Grossen Rat des Kantons Aargau. Da darf man nicht zu hohe Erwartungen in Klimafragen haben. Freie Fahrt für freie Bürger ist nach wie vor politisches Programm im Autokanton. Immerhin war der Klimaartikel durch die fehlenden Zähne für einmal mehrheitsfähig. Mit 84:46 Stimmen schaffte der Grosse Rat heute einen neuen Artikel für Klimaschutz in unserer Kantonsverfassung. Gut so. Das letzte Wort hat das Aargauer Stimmvolk. Nächstes Jahr wird sich entscheiden, ob die Legitimation von Massnahmen gegen den Klimawandel gestärkt wird oder nicht. Enttäuscht uns bitte nicht!

Die ARAs drohen bachab zu gehen
Unser Abwasser gelangt über das Kanalisationsnetz zur Abwasserreinigungsanlage (ARA). ARAs halten den grössten Teil der im Abwasser vorhandenen Schadstoffe zurück, sodass das Wasser, das in unsere Flüsse und Seen eingeleitet wird, eine annehmbare Qualität aufweist. ARAs sind eine gute Sache. Das sieht auch der Grosse Rat so. Zu reden gaben heute aber die ökologische Ausgleichsflächen, die bei neuen ARAs anfallen. Denn neue ARAs reissen Wunden in die Landschaft und diese müssen kompensiert werden. Wenn etwas ausgeliehen werde, gibt man dies ja auch im gleichen Zustand zurück. So einfach ist es. Doch Rechtskonservativ sieht durch den Ausgleich die landwirtschaftliche Nutzfläche in Gefahr und wollte mittels Minderheitsantrag die “überrissenen” Ausgleichsflächen streichen. Denn während Wald-, Siedlungs- und Naturschutzflächen laufend zunehmen, nimmt die Landwirtschaftsfläche laufend ab. Mit 76 zu 56 Stimmen sagte der Grosse Rat Nein zu Ausgleichsreserven. Ob dies mit den bundesrechtlichen Vorgaben vereinbar ist, bleibt offen. Das saubere Wasser wird als Ausgleich wohl kaum akzeptiert. Die neuen ARAs drohen also bachab zu gehen und die letzten Bachfische versinken in der Kloake.

Wir waren fleissig

  • Interpellation Carol Demarmels, SP, Obersiggenthal  betreffend Abzugsfähigkeit Kinderbetreuungskosten in Ferienkursen, -camps und -lagern

Interpellation Carol Demarmels, SP, Obersiggenthal (Sprecherin), Rolf Schmid, SP, Frick, Arsène Perroud, SP, Wohlen, vom 7. November 2023 betreffend Entwicklung der dynamischen Effekte aufgrund der Umsetzung der Steuergesetzrevision 2022

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