Resolution angenommen am ordentlichen Parteitag der SP Aargau vom 22. Juni 2024 in Muri
- Einleitung
Zu Beginn des Jahres beförderte der neoliberale Thinktank Avenir Suisse den Kanton Aargau auf Platz zwei des eigenen Freiheitsindexes. Ausschlaggebend waren dabei ideologisch gewichtete, für positiv befundene Faktoren wie Schuldenbremse, liberalisierte Ladenöffnungszeiten, nicht ausgeschöpftes Steuersubstrat oder fehlende GAVs in Aargauer Betrieben. Je weniger Regulierungen und mehr Möglichkeiten die Arbeiter*innenschaft auszubeuten, desto besser für die Freiheit ist der Tenor.
Die Leitsätze der Aargauer Steuerstrategie schlagen in die gleiche Kerbe. Hohe Einkommen und Vermögen sollen ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf den Kantonshaushalt drastisch weniger Steuern bezahlen. Der Grosse Rat hat in seiner ersten Lesung zur Steuergesetzrevision 2025 bereits die Senkung der oberen Vermögenssteuertarife oder die Erhöhung der Kinderabzüge sowie Kinderbetreuungsabzüge beschlossen.
Gerade letztere beiden Massnahmen werden gerne als Entlastung für Familien verkauft. Bei genauerem Hinsehen wird aber rasch klar, dass auch davon nur die Familien mit hohen Einkommen profitieren. Warum?
- Kinderabzüge und Kinderbetreuungsabzüge: Der Wolf im Schafspelz
Das Mittel der Erhöhung der Kinderabzüge und der Kinderbetreuungsabzüge (auch Abzüge an Drittbetreuungskosten genannt) scheint auf den ersten Blick vielversprechend. In der ersten Lesung hat das Kantonsparlament darum sogar noch eine Erhöhung gegenüber dem Vorschlag der Regierung beschlossen. Nun sollen für jedes Kind bis zum 14. Lebensjahr neu Fr. 9’000 für jedes Kind bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Fr. 10’000.- und für jedes volljährige Kind in Ausbildung Fr. 12’000.- vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Drittbetreuungskosten sollen für Kinder bis zum 14. Lebensjahr mit höchstens Fr. 25’000.- pro Kind pro Haushalt unterstützt werden.
Allerdings: Die Höhe der Kinderabzüge spielt grundsätzlich nicht wirklich eine grosse Rolle. Die Steuerprogression, also der Anstieg der prozentualen Besteuerung mit höherem Einkommen, sorgt für einen regelrechten Etikettenschwindel. Eine Familie mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 50’000 und zwei Kindern spart damit rund 200 Franken. Bei der Familie mit 120’000 sind es bereits 400 Franken – also gerade doppelt so viel. Bedenkt man dabei die finanzielle Lage der jeweiligen Familien, so wird rasch klar, dass hier unverhältnismässige Einsparungen verteilt werden und gerade Familien mit kleinerem Budget kaum geholfen wird.
Von der Massnahme also, die als wichtige Entlastung für Familien bezeichnet wird, profitiert hauptsächlich der gutverdienende Bruchteil der Aargauer Familien. Alle anderen spüren wenig bis gar nichts von höheren Kinderabzügen. Dafür nimmt die Regierung 3.5 bis 4 Mio. Franken Mindereinnahmen je für den Kanton und für die Gemeinden in Kauf. Die vom Grossen Rat bestimmten, höheren Ansätze bei den Kinderabzügen sorgen hier für noch mehr Steuerausfälle.
- Warum Kinderabzüge und Kinderbetreuungsabzüge Teil der Revision sind
Wieso also ist diese Massnahme Teil der Gesetzesrevision? Weder werden Familien mit geringem bis mittlerem Einkommen entlastet, noch fördert sie den Zugang zum Arbeitsmarkt. Vielmehr entpuppt sie sich als weiteres verstecktes Steuergeschenk an Menschen, die nicht auf eine Steuersenkung angewiesen sind.
Die Erklärung ist einfach: In der breiten Bevölkerung gehen viele bis heute davon aus, dass auch mittelständische oder gar armutsgefährdete Familien den Effekt höherer Kinderabzüge spüren. Damit planen Regierung und Parlament die Steuergesetzrevision mehrheitsfähig zu machen. Genau derselbe Effekt wird durch die Erhöhung der Kinderbetreuungsabzüge nochmals verstärkt. Hier profitieren viele Familien kaum oder gar nicht.
- Wir sagten schon mal Nein und werden es wieder tun
Im September 2020 erkannte die Schweizer Stimmbevölkerung auf nationaler Ebene diesen Kinderabzugs-Bschiss und schickte die Vorlage mit über 63% Nein-Anteil bachab. Der Aargau darf nun diese Massnahme nicht einfach so durchsetzen können.
Die Steuergesetzrevision ist brandgefährlich. Den Preis dafür bezahlt die Mehrheit der Aargauer:innen entweder mit dem Leistungsabbau von Kanton und Gemeinden oder später, wenn diese die Steuerfüsse erhöhen müssen, weil die Aufgaben nicht mehr anders zu finanzieren sind. Darum muss die SP die Steuergesetzrevision und damit auch die höheren Kinderabzüge bekämpfen. Die Abstimmung über den “Kinderabzugs-Bschiss” auf der Bundesebene hat gezeigt, dass wir gewinnen können.
Die SP Aargau muss dazu Aufklärungsarbeit leisten.
- Echte Familienfreundlichkeit geht anders
Es ist klar, dass Abzüge vom steuerbaren Einkommen aufgrund der Progression immer den Menschen mit einem dickeren Portemonnaie nützen. Personen mit einem geringeren Einkommen können selten davon profitieren. Die Abzüge sind kaum umsetzbar, da das Einkommen zu gering ist, um die Abzüge umzusetzen. Damit verbessert sich die Besteuerung für diejenigen nicht, die es am dringendsten bräuchten.
Deshalb lehnt die SP Aargau Massnahmen wie Kinderabzüge und Abzüge an Drittbetreuungskosten ab.
Es gibt aber durchaus Wege, mit gezielter Finanz- und Steuerpolitik den Aargau kinder- und familienfreundlicher zu gestalten.
Die SP Aargau setzt sich deshalb für folgende Massnahmen ein, die tatsächlich allen Familien im Kanton zu Gute kämen:
- Einkommensunabhängige Kinderabzüge auf dem tatsächlichen Steuerbetrag
- Ergänzungsleistungen für Familien mit kleinem Einkommen
- Finanzielle Unterstützung der Gemeinden beim Aufbau von bezahlbarer familienergänzenden Kinderbetreuung
- Förderung und Subventionierung für öffentliche Tagesschulen
Die Resolution ist als PDF Datei verfügbar: Download