Nur wenige Wochen nach der Schlussabstimmung über das erste Umsetzungspaket der Steuerstrategie im Grossen Rat stimmte das nationale Parlament der Abschaffung des Eigenmietwertes zu. Dieser historische Durchbruch war für die bürgerlichen Politiker:innen, allen voran Finanzdirektor Markus Dieth, in der Ratsdebatte zur Aargauer Steuergesetzrevision noch undenkbar.
Die Erhöhung des Eigenmietwertes ist nebst der Anpassung der Steuerwerte für Liegenschaften eines der Hauptargumente für die neue Steuerstrategie. Die entstehenden Mehreinnahmen sollen in Form von Steuererleichterungen für Wohlhabende rückverteilt werden. Die Regierung und das Parlament haben die “Ertragsneutralität” zum obersten Ziel der Strategie erklärt. Die ersten beiden Umsetzungspakete gründen darum auch auf den Mehreinnahmen aus diesen Änderungen. Weil die geplanten Steuererleichterungen grösstenteils den reichsten Aargauer:innen und nicht dem Mittelstand und den Familien mit Kindern zugutekommen, haben die Fraktionen der SP und der Grünen das Behördenreferendum gegen das erste Umsetzungspaket ergriffen. Bereits am 18. Mai soll es zur kantonalen Volksabstimmung kommen.
Mit dem zwischenzeitlichen Entscheid aus Bundesbern, den Eigenmietwert abzuschaffen, ändern sich die Vorzeichen grundlegend. Dadurch fallen nicht bloss die geschätzten Mehreinnahmen der Erhöhung von rund 38 Mio. Franken weg, sondern auch die Erträge aus dem Eigenmietwert generell. Der Bund schätzt die Ausfälle gesamthaft auf bis zu 2 Mrd. pro Jahr. “Gerade die Gemeinden stellt dies vor riesige Herausforderungen in der Bewältigung ihrer Aufgaben”, ist Carol Demarmels, Grossrätin der SP, überzeugt.
Gemeinsam verlangten die Grünen und die SP darum mit einer Motion einen Aufschub der kantonalen Abstimmung, bis klar ist, ob der Eigenmietwert wirklich abgeschafft wird. Danach liessen sich die finanziellen Auswirkungen neu berechnen und der Stimmbevölkerung kann transparent aufgezeigt werden, worüber sie wirklich abstimmt. Mirjam Kosch, Fraktionspräsidentin der Grünen, findet: “Es wäre absolut verantwortungslos, die Bevölkerung, ohne neue Zahlen und Hintergründe, über das erste Umsetzungspaket abstimmen zu lassen.”
Damit die Behandlung der eingereichten Motion überhaupt rechtzeitig möglich ist, beantragten die beiden Fraktionen in der Ratsdebatte von heute Dienstag die dringliche Behandlung nach § 74 im Dekret über die Geschäftsordnung des Grossen Rates. Die Regierung und das Parlament wären damit verpflichtet, das Geschäft innerhalb der nächsten vier Sitzungen zu diskutieren. Doch die notwendige Zweidrittelmehrheit für diesen Schritt wurde verfehlt. Rolf Schmid, Vize-Fraktionspräsident der SP, stellt klar: “Wir sind empört, dass die rechtsbürgerliche Mehrheit unserem Anliegen nach mehr Transparenz und Demokratie keinen Platz geben will. Nun kauft das Volk die Katze im Sack.”