Von Marcos Buser, Geologe und ehemaliges Mitglied der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (KNS)
Wenn natürliche Kreisläufe überfordert sind
Die hergestellten Stoffe und Chemikalien überfordern nicht nur aufgrund ihrer Menge die natürlichen Kreisläufe, sie verändern auch das Klima, vergiften die Gewässer, die Böden, die dort lebenden Tiere und Pflanzen und stellen über Tausende von Jahren hinweg eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit dar.
Altlasten mit Langzeitfolgen: gefährliche Rückstände unserer Zeit
Wer an die in Atlantik und Ostsee versenkten Munitionsrückstände und Phosphor Brandbomben aus den beiden Weltkriegen denkt, die laufend und in Stücken an die Strände nordischer Länder gespült werden, muss sich ernsthaft fragen, was die Menschheit mit ihren Zivilisationsabfällen für grossflächige und perverse Experimente in der Umwelt eingeläutet hat. Denn dümmer geht es wirklich nicht: Abfälle zu produzieren, die eine Bedrohung für die nachfolgenden Generationen über Tausende, Zehntausende oder noch mehr Jahre sind! Globales CO2 und FCKW (Stichwort: Ozonloch), Mikroverunreinigungen, Kunststoffe, die als Mikrofasern bis ins menschliche Gehirn und in den pazifischen Marianengraben gelangen und sich dort ablagern, Pestizide sowie chemische Kampfstoffe und Abfälle im Wasser und in allen Böden – all das gehört zu den gefährlichsten Altlasten unserer Zeit. Und nicht zuletzt: giftige, langlebige radioaktive Stoffe, die bedenkenlos an die Umwelt abgegeben wurden oder nun ihrer «Entsorgung» harren.
Der Ausstieg aus dem Teufelskreis
Moderne Gesellschaften müssen diesen Teufelskreis durchbrechen. Änderungen sind grundsätzlich und zwingend: bei den Produktionsprozessen, bei den in Konsumgütern eingesetzten Stoffen, bei den an die Umwelt abgegebenen Abfall-Lawinen, bei den Gütern und Stoffgemischen, die im Alltag Verwendung finden. Die Liste ist endlos lang. Dazu gehören auch radioaktive Abfälle aus Atomkraftwerken, die mehrheitlich noch in Zwischenlagern liegen. Wir müssen neue Wege gehen. Es braucht einen fundamentalen Wandel in unseren Köpfen und in unserem Handeln. Dies gilt besonders für eine der bedrohlichsten Kategorien von Abfällen: jene aus Atomkraftwerken.
Innovative Technologien: Chancen und Risiken
Heute zeichnen sich neue Wege im Umgang mit diesen Rückständen ab, welche ihre Lagerdauer massiv verkürzen könnten – durch die Rückführung hochradioaktiver Abfälle in spezielle Verbrennungsanlagen, sogenannte «Waste-Burner». Können solche Abfallvernichtungsanlagen sicher betrieben und die Gefahr der Abzweigung radioaktiver
Stoffe für die Herstellung von Atombomben gebannt werden, dürfte sich eine Neubewertung dieser Technik anbahnen. Das Projekt Transmutex aus Genf könnte sich als ein solcher «Game-Changer» erweisen. Natürlich lässt sich heute – zu Beginn dieses Entwicklungsprozesses – einwenden, dass diese neue Technologie womöglich nie zur Reife gelangt; das unüberwindbare technische Hürden auftreten; und dass das Kapitel der Atomkraft endgültig geschlossen gehört. Doch solange die nukleare Last der Vergangenheit nicht bewältigt und die höchstgefährlichen Abfälle zugleich wertvolle Energieressourcen für neue Reaktorgenerationen darstellen, wird man die Geister, die man vor Generationen rief, nicht los. Was vor 10 Jahren kaum jemand in der Schweiz für möglich hielt, steht heute wieder zur Debatte: eine mögliche Rückkehr atomarer Technologien. Ob es tatsächlich in der Schweiz so weit kommen wird, bleibt der politischen Willensbildung in unserem Land vorbehalten. Unabhängig davon dürfte sich auch diese Technologie in der Zukunft rasant weiterentwickeln – mit allen Möglichkeiten, aber auch allen dazugehörenden Risiken.
Verantwortung für die Zukunft übernehmen
Was wir heute machen können, sollen und müssen, ist dafür zu sorgen, dass wir unseren eigenen atomaren (und chemischen) Müll so verantwortungsvoll wie möglich wieder einsammeln, behandeln und einer beherrschbaren Zukunft zuführen. Und so auch aufzeigen, wie mit Technik und ihren gefährlichen Zivilisationsrückständen um gegangen werden soll.