Interview: links.ag, Carol Demarmels, Mia Jenni, Arsène Perroud und Rolf
Schmid, Grossrät:innen SP Aargau
Die SP Aargau kämpft entschieden gegen die geplante Steuergesetzrevision. Warum?
Mia Jenni: Weil es eindeutig eine Umverteilung von unten nach oben ist. Die Revision wird uns als Entlastung des Mittelstandes verkauft – in Wirklichkeit profitiert vor allem, wer bereits viel hat. 80 Prozent der Gelder fliessen in die Senkung der Vermögenssteuer, wovon nur ein Bruchteil der Bevölkerung überhaupt etwas merkt. Besonders störend: Die Progressionsstufen bei der Vermögenssteuer werden ab einem steuerbaren Vermögen von knapp über 400 000 Franken ganz abgeschafft. Das ist eine Steuergeschenkorgie für die Reichsten – und nichts anderes.
Rolf Schmid: Gerade die Kinderabzüge stellen einen riesigen Etikettenschwindel dar. Was gut tönt, bringt für Familien mit tiefem oder mittlerem Einkommen kaum etwas. Zudem fliesst nur ein Bruchteil der Gelder in diese Massnahme. Gleichzeitig bezahlen nun viele Mittelstandsfamilien mehr, weil die Liegenschaftswerte neu geschätzt wurden – sie erfahren also unterm Strich eine höhere Steuerlast.
Die Regierung spricht von «einer ausgeglichenen Revision». Täuscht dieser Eindruck?
Carol Demarmels: Die Abstimmungsbroschüre erweckt den Eindruck, die Revision bringe breite Entlastung – dabei fehlen der Grossteil der Bevölkerung mit tiefen bis mittleren Einkommen sowie die Reichsten vollständig in den Beispielen. Nur rund ein Viertel der Bevölkerung – der obere Mittelstand – wird dargestellt. Drei von vier Beispielhaushalten
haben steuerbares Vermögen – in der Realität trifft das nur auf 35 Prozent der Bevölkerung zu. Und alle Beispiele zeigen ein steuerbares Einkommen von 50 000 Franken oder mehr – obwohl 45 Prozent der Steuerpflichtigen im Aargau darunterliegen. Dass rund 50 Prozent der Bevölkerung von der Revision gar nicht profitieren, wird nur in einem Nebensatz erwähnt. Das ist keine sachliche, ganzheitliche Information – sondern politisches Schönschreiben.
Was bedeuten die Ausgaben für den Kanton und die Gemeinden?
Arsène Perroud: Der Kanton steht vor dringend notwendigen Investitionen: Schulhäuser, Tagesstrukturen, Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Pflege und Bildung. Dabei basiert die Revision auf Einnahmen, die gar nicht gesichert sind – vor allem wegen der geplanten Abschaffung des Eigenmietwerts auf Bundesebene. Das trifft auch die Gemeinden hart: Bei einem Wegfall des Eigenmietwerts verlieren sie bis zu 48 Millionen Franken – und das in einer Zeit, in der ihnen immer mehr Aufgaben zugewiesen werden, ohne dass sie finanziell dafür ausgerüstet werden. Diese Revision ist nicht nur ungerecht, sie ist auch ein finanzielles Risiko für unseren ganzen Kanton.
Was wären gerechte und nachhaltige Alternativen?
Carol Demarmels: Jede zweite Familie in der Schweiz kommt mit dem Budget nicht oder nur knapp über die Runden. Fast 10 Prozent der Bevölkerung sind armutsbetroffen. Wir brauchen Entlastungen, die dort ansetzen, wo sie tatsächlich gebraucht werden: Ergänzungsleistungen für Familien mit tiefem Einkommen, einkommensunabhängige Kinderabzüge direkt von der Steuerrechnung und den Ausbau der Prämienverbilligungen. Das wäre echte Familienpolitik.
Mia Jenni: Und wir brauchen eine Steuerpolitik, die dem Grundsatz der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit folgt. Wer mehr hat, soll mehr beitragen. Diese Revision aber schwächt diesen Grundsatz – und damit unser Steuersystem als Ganzes.
Was gebt ihr den Leser:innen mit auf den Weg?
Arsène Perroud: Diese Abstimmung ist mehr als ein technisches Detail – sie ist eine Richtungsentscheidung. Wollen wir einen Kanton, der weiter die Reichsten entlastet? Oder einen, der in den Zusammenhalt investiert: in Schulen, Spitäler, Kinderbetreuung? Ich wünsche mir einen Aargau, der auf Gerechtigkeit setzt – nicht auf kurzfristige Steuergeschenke.
Rolf Schmid: Diese Revision ist nicht nur sozial ungerecht, sie ist auch unsolide und gefährlich für unseren Kanton. Und die Abstimmungsbroschüre versucht gezielt, diesen Umverteilungsmechanismus zu vertuschen. Deshalb mein Appell: Redet mit euren Kolleg:innen, mit der Familie, mit Freund:innen. Macht auf diese Missstände aufmerksam und schreibt Leser:innenbriefe – und stimmt am 18. Mai entschieden NEIN.