Erinnerungen an Arthur Schmid (25.1.1928 – 1.5.2023)

Am 1. Mai 2023 ist Arthur Schmid im hohen Alter von 95 Jahren im Altersheim Oberentfelden verstorben, wo er zufrieden und zurückgezogen seine letzten fünf Lebensjahre verbrachte. Arthur war von 1959 bis 1979 Nationalrat, während 28 Jahren (!) von 1965 bis 1993 Regierungsrat und von 1969 bis 1974 Präsident der Sozialdemo­kratischen Partei der Schweiz. In sei­ner langen und intensiven Politikerkarriere hat er für die Schweiz, für den Aargau und für seine Par­tei viel erreicht. In den Medien (z.B. in der az vom 11. Mai 2023 durch Urs Hofmann) sind seine vielen Erfolge und wenigen Niederlagen bereits eingehend gewür­digt worden. Ich will daher nicht nochmals darauf eingehen, sondern mich auf einige persönliche  Erinnerungen an Arthur Schmid konzentrieren. Als Delegier­ter meiner damaligen Kleinbasler SP-Sektion bin ich ihm am Bieler SPS-Parteitag von 1969, der ihn zum Parteipräsidenten wählte, zum ersten Mal begegnet. Er war da­mals zwar erst 40 Jahre alt aber bereits seit 10 Jahren Natio­nalrat und seit 4 Jahren Regierungsrat. Drei Jahre später (1972) bin ich dann Mitar­beiter einer Stabsstelle des aarg. Regierungsrats und in Oberentfelden wohnhaft ge­worden. Dort trat ich sofort der SP bei und lernte Arthur Schmid näher kennen, da er so oft er konnte an unseren Sektionsversammlungen teilnahm. Auch im Regierungs­gebäude, dem Sitz «seines» Erziehungsdepartements, gab es immer wieder Kontakte. Dabei lernte ich ihn als freundlichen, gut informierten und effizient arbeitenden Re­gie­rungsrat kennen. 1973 wurde er von der SP- Fraktion für den Bundesrat nominiert – Nachfolger von H.P. Tschudi. Obwohl der Aargau schon lange keinen Bundesrat mehr gestellt hatte wollte die bürgerliche Presse seine Wahl verhindern. Vor allem das von Kurt Lareida geleitete Aargauer Tagblatt bezeichnete ihn unter der Schlag­zeile «das ist nicht unser Kandidat» als extrem links. Arthur Schmid wurde dann tat­sächlich nicht gewählt – dafür sein Solothurner Kollege Willi Ritschard. Drei Jahre später sass sein früherer «Gegner» Kurt Lareida als Freisinniger mit Arthur Schmid im Regierungsrat. Kurt Lareida sagte mir damals, er bedaure seine ungerechten Angriffe auf Arthur Schmid, habe ihm das auch gesagt und sei froh, dass Arthur ihm das nicht nachtrage und man im Regie­rungsrat gut zusammenarbeiten könne. 1993 trat Arthur Schmid aus dem Regie­rungsrat zurück. Parteipolitisch wurde Silvio Bircher sein Nachfolger – wie bereits 1979 als Nationalrat. Es wurde ruhig um Arthur Schmid; zu politischen Fragen äusserte er sich nur noch, wenn er gefragt wurde. 2012 starb seine Frau Mar­grith (geb. 1938) – ein grosser Verlust für Arthur. Aus gesundheitlichen Gründen wurde sein Leben immer mühsamer.

Ich (pensioniert seit 2005) besuchte ihn hie und da, brachte ihn mit dem Auto zu einem Arzt oder zum Physiotherapeuten und holte ihn dann wieder ab. Einige Male nahmen wir in einem Restaurant noch das Mittages­sen ein. Arthur Schmid wohnte während seines ganzen Lebens – bis zu seinem Eintritt ins Alters­heim – in dem von seinem Vater erbauten Haus Köllikerstrasse  48 in Ober­entfelden. Das mehrstöckige Haus mit vielen Treppen und ohne Lift überforderte Arthur immer mehr. Arthur sagte oft «Solange ich mich noch am Geländer hochziehen kann geht es noch». Dann aber geschah was man kommen sah; Arthur fiel die Treppe hinab und musste notfallmässig ins Spital. Nach seiner Wiederherstellung sagte man ihm, dass er nicht in sein Haus zurückkehren, sondern in ein Altersheim eintreten sollte, was er ohne weiteres akzeptierte. Da es im Altersheim Oberentfelden keinen freien Platz hatte wohnte er zunächst einige Monate im Altersheim Kölliken bis er dann in das Oberentfelder Altersheim «im Zopf» übertreten konnte. In seiner letzten Le­bensphase lernte ich Arthur Schmid von einer ganz anderen Seite kennen als früher. Mich beeindruckte immer wie bescheiden und zufrieden er trotz seines immer müh­sameren Lebens war (immer im Rollstuhl). Er lobte die gute Pflege, die netten Be­treuer:innen und freute sich an Besuchen. Bis vor etwa einem Jahr konnte man mit ihm auch fundierte Gespräche führen und er begrüsste mich immer mit meinem Na­men. Dabei erfuhr ich viel von früher – über die SP aber auch sonst. In den letzten Monaten seines Lebens wurde er still und schweigsam, machte aber immer noch einen zufriedenen Eindruck.

Als 30-Jähriger hatte Arthur Schmid im Dezember 1959 zum ersten Mal an einer Na­tionalratssitzung teilgenommen. An dieser Sitzung wurden nach einem sechsjährigen Un­terbruch (seit dem 1953 erfolgten Rücktritt von SP-Bundesrat Max Weber)  gleich zwei Sozialdemokraten in den Bundesrat gewählt (Tschudi BS und Spühler ZH); damit begann die immer noch andauernde Ära der «Grossen Koalitio­nen». Auch an dieses Datum erinnere ich mich noch gut – nicht wegen Arthur Schmid, sondern wegen H.P. Tschudi. Ich ging am Wahltag in Basel noch ins Gymna­sium. Im Laufe des Vormittags ging dann Jubel durch das Schulhaus und es wurde uns mitgeteilt, dass zum zweiten Mal ein Basel-Städter in den Bundesrat gewählt worden sei, dass der Nachmittag schulfrei sei und wir auf den Bahnhof gehen sollten um den neuen Bundesrat zu be­grüssen, der mit dem Extrazug aus Bern anreisen werde. Schon damals wurde nicht der offizielle SP-Kandidat, Stadtpräsident und Nationalrat Walther Bringolf aus Schaff­hausen, gewählt. Der Kanton Schaffhausen wartet auch heute noch auf seinen ersten Bundesrat.

Als ich 1972 nach Oberentfelden kam galt der jetzt Verstorbene in der SP immer noch als der «junge Schmid». Sein Vater, der «alte Schmid», hiess ebenfalls Arthur Schmid und war ebenfalls Dr. iur. Er (30. April 1889 – 14.11.1958) war noch Natio­nalrat als er starb. Nur wenige Monate nach seinem Tod mussten die Wahllisten für die National­ratswahlen 1959 zusammengestellt werden. Auf der SP-Liste stand wie­der ein Dr. iur. Arthur Schmid aus Oberentfelden. Es ist gut möglich, dass der «junge» Schmid einige Stimmen von Wählern erhielt die eigentlich den kurz vorher verstor­benen «alten» Schmid wählen wollten. Der damalige 1. Ersatzmann auf der SP-Liste – ebenfalls ein prominenter Sozialdemokrat – hielt es für möglich, dass er statt der junge Arthur Schmid gewählt worden wäre, wenn der alte Arthur Schmid einige Jahre früher ge­storben wäre. Mag sein – wir wissen es nicht und es spielt auch keine Rolle.

Der «alte Schmid» (im Folgenden «Arthur Schmid I») wurde 1889 in Staffelbach (Hei­matort der Familie Schmid) geboren und kam zusammen mit seinen Eltern 1893 nach Oberentfelden. Um Jurisprudenz und Nationalökonomie zu studieren ging er an die Uni Zürich, wo er 1912 zum Dr. iur. promoviert wurde. 1911 trat er in die SP ein und nahm dann in der Stadt Zürich an vielen Parteiveranstaltungen teil. An einer Sitzung widersprach er 1916 dem damals in Zürich im Exil lebenden Lenin, dass es im Interesse des arbeitenden Volkes unbedingt eine Revolution brauche. Schmid I ver­trat die Mei­nung, dass man auf demokratischen Wegen schneller zum Ziel komme als mit Revo­lutionen. Lenin war damit gar nicht einverstanden und schrieb Schmid I auf Deutsch einen vierseitigen Brief, der sich heute im aargauischen Staatsarchiv befindet. Nach seinem Studium wurde er Han­delslehrer in Winterthur. Bereits 1917 wurde er Zürcher Kantonsrat und 1919 Stadtrat (Exekutive) in Winterthur. Als der Nationalrat 1919 erst­mals nach dem Pro­porzverfahren gewählt wurde gelang Arthur Schmid I auf der Aar­gauer SP-Liste der Sprung in den Nationalrat – trotz seines Zürcher Wohnsitzes. Nach seiner Wahl kehrte er nach Oberentfelden zurück und wurde politisch unglaublich ak­tiv.  Neben seiner Tätigkeit als Nationalrat (1919-1958) war er Mitglied des Grossen Ra­tes (1921-1958 / Grossratspräsident 1930/31) und des Oberentfelder Gemeinde­rats (1925-1931), Hauptberuflich war er Chefredaktor der SP-Zeitung «Freier Aar­gauer» und gleichzeitig Parteisekretär der SP-Aargau. Arthur Schmid I sprach sich für eine wirk­same Landesverteidigung aus und lehnte revolutionäre Vorgehensweisen ab; er war – wie sein Sohn Arthur II – ein moderater und sicher kein extremer Linker.

Oberentfelden, 12. Mai 2023                                                                           Hermann Engler

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Animation laden...Animation laden...Animation laden...

Newsfeed